Training am Limit
(Michael Koller) Eliud Kipchoge ist mit seinem Fabellauf im vergangenen Oktober in Wien in neue Dimensionen vorgestoßen. Von seiner akribischen Vorbereitung auf diesen Event können auch wir sehr viel lernen.
Trainieren am Limit...
Noch vor wenigen Jahren haben viele Experten postuliert, dass es nicht möglich sei, die 2-Stunden-Schallmauer beim Marathon zu unterschreiten. Eliud Kipchoge hat einen Meilenstein in der Sportgeschichte gelegt, aber es war sicherlich nicht das Ende der Fahnenstange. Es wird keine fünf Jahre dauern, dann wird auch bei einem „normalen“ Städtemarathon diese 2-Stunden-Schallmauer geknackt werden.
Wo liegt das Limit?
Steht erst einmal der offizielle Weltrekord unter zwei Stunden, werden die Rekordjagd und der Fokus deutlich nachlassen, weil die magische Grenze fehlt.
Die Marathon-Zielzeit wird sich jedoch früher oder später trotzdem weiter verbessern. Eine Bestzeit ist von sehr vielen Faktoren abhängig. Kipchoge hat sein Training und Wettkampfprogramm auf seine Zielsetzung abgestimmt und war stets fokussiert. Weiters ist im Laufsport die Ernährung – sowohl in der Wettkampfernährung als auch in der täglichen Energieaufnahme – in Qualität und Quantität, das heißt auch der Zeitpunkt der Aufnahme, in den wissenschaftlichen Fokus gerückt. Last but no least hielten neue Materialien – Stichwort „Carbonsohle“ – Einzug. Es ist eine Frage der zukünftigen Reglements, wo die Entwicklung hingehen wird, aber gerade im Bereich Material sehe ich noch großes Potenzial für neue Spitzenleistungen.
Drei Faktoren
Drei Faktoren, die Kipchoge zum absoluten Weltklasseläufer machen, die sich ein Hobbyläufer von ihm abschauen kann:
(1) Fokus
Eliud läuft im Jahresschnitt nur zwei Marathonbewerbe. Er war in den letzten Jahren stets auf das Training und die Leistungsentwicklung fokussiert. Viele HobbyläuferInnen absolvieren teilweise wesentlich mehr Wettkämpfe und messen dem Training zu geringe Bedeutung bei. Wer seine Performance entwickeln möchte, sollte sich auf das Wesentliche fokussieren. Im Herbst 2019 absolvierte der Weltklasseläufer lediglich die INEO Challenge 1:59 und sonst keinen anderen offiziellen Marathon, nicht einmal einen klassischen „Drüberstreuer, weil die Form grad passt“, wie es viele Athleten gerne machen.
(2) Polarisiertes Training
Analysiert man das Trainingsprogramm von Kipchoge, so ist zu erkennen, dass der Ausnahmeläufer eine unglaubliche Bandbreite an Trainingsmethoden und unterschiedlichen Trainingsgeschwindigkeiten abdeckt. Nach dem Motto: „Je mehr Reize der Körper bekommt, desto besser die Entwicklung!“ So schafft er es, 7 Tage pro Woche durchzutrainieren, und vermeidet trotzdem Monotonie und damit auch die Wahrscheinlichkeit von Überlastungsproblematiken.
Sehr interessant ist die große Bandbreite an unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Klassische HobbyläuferInnen absolvieren ihr Grundlagentrainingstempo meist um das Renntempo im sogenannten „Black Hole of Training Intensity“. Der Weltklasseläufer Eliud absolviert seine lockeren Läufe bei ca. 4:00/km (= Marathonrenntempo minus 70 sek!). Regenerative Läufe werden sogar bei 6:00/km (10 km/h) durchgeführt. Auf der anderen Seite werden gezielt Akzente im Tempo gelaufen, z. B. 800-m-Intervalle in ca. 2:05/800 m (ca. 23 km/h) oder 200-m-Intervalle in ca. 27 sek (ca.27 km/h).
(3) Leidenschaft & Selbstdisziplin
Kipchoge ist ein Macher. Der Weltklasseathlet absolviert bis zu 200 Kilometer pro Trainingswoche, und das für zwei wichtige Wettkämpfe pro Jahr. Er liebt den Laufsport und hat ihn zu seinem Lebensmittelpunkt gemacht. Auf diese Weise schafft Kipchoge es, sein Ziel und seine Vision zu internalisieren und sich auf die jeweiligen Events mental und physisch auf den Punkt vorzubereiten. Von dieser vorbildlichen Selbstdisziplin können nicht nur HobbyläuferInnen lernen, sondern auch alle Menschen, die mit ihrem „täglichen Schweinehund“ zu kämpfen haben.