Am Anfang war der Puls
Aus den Pulsuhren von einst sind die Trainingscomputer von heute geworden. Diese technischen Tausendsassas bieten Läuferinnen und Läufern ungeahnte Möglichkeiten, fordern aber „mündige“ User.
Das waren noch Zeiten, als Pulsuhren nur die Herzfrequenz messen konnten. Einfach Brustgurt anlegen, auf Start drücken, loslaufen und am Ende auf Stop drücken. Was zählte, waren einzig die Herzfrequenz (die Trainingsbereiche wurden mit mehr oder eher weniger genauen Faustformeln errechnet) und die Dauer des Trainings. Dann kam GPS – und alles wurde anders. Plötzlich wusste man jederzeit, wie weit und wie schnell man gelaufen war.
Die Pace, also die Zeit pro Kilometer, wurde seither zum beherrschenden Thema am Stammtisch und beim Posten in den Social Media. Das geht mittlerweile so weit, dass die erste Frage von Laufeinsteigern beim
Kauf einer Sportuhr nicht jene nach der Art und Genauigkeit der Herzfrequenzmessung ist, sondern jene nach dem GPS, erzählt Michael Wernbacher vom WeMove Runningstore im Gespräch mit RUNNING & Fitness:
„Der durch die Corona-Krise ausgelöste Laufboom macht sich auch beim Absatz von Pulsuhren bemerkbar. Erstaunlicherweise aber nicht, weil die Laufeinsteiger über die Messung der Herzfrequenz ihr Lauftempo so wählen wollten, dass sie sich nicht überlasten. Nein, die erste Frage galt fast immer dem GPS. Hat die Uhr das, wie genau ist es und weiß ich nachher, wie schnell ich gelaufen bin? Es ist dann gar nicht so einfach, diese Kunden davon zu überzeugen, dass ein Training nach der Pace nur etwas für erfahrene und leistungsorientierte Läuferinnen und Läufer ist, die auch an Wettkämpfen teilnehmen. Für Anfänger zählt nur die Dauer des Laufs in der richtigen Herzfrequenz, wofür es ganz passable Faustformeln zur Errechnung gibt.“
Brustgurt ade?
Aber selbst die Art der Herzfrequenzbestimmung hat sich seit den Anfängen der Pulsuhren entscheidend verändert. Handgelenksmessung heißt das Zauberwort. Wernbacher: „Die modernen Uhren können mittlerweile durch die Bank die Herzfrequenz mittels Laserabtastung am Handgelenk bestimmen. Genauer gesagt errechnen. Die Laser tasten die Durchflussgeschwindigkeit des Blutes unter der Haut ab und ein Algorithmus errechnet daraus die Herzfrequenz.“
Womit wir auch schon bei der Schwachstelle dieser Methode wären, der verzögerten Anzeige auf der Uhr. Bei einem ruhigen Dauerlauf kein Problem, bei einem Intervalltraining aber sehr wohl. Da kommt die Methode der Handgelenksmessung an ihre Grenzen und kann mit der Brustgurtmessung, die ja EKG-genaue Echtzeitwerte liefert, keinesfalls mithalten. „Hobbyläufer kommen aber auf jeden Fall ohne Brustgurt aus und leistungsorientierten Läufern empfehlen die Hersteller ohnehin nach wie vor die Verwendung eines Brustgurtes“, betont Wernbacher.
Was die alles können...
So weit, so einfach. Was sonst noch an Funktionen in diesen Dingern verpackt ist, lässt selbst bei sportelnden Technikfreaks keine Wünsche offen. GPS wie gesagt, permanente Herzfrequenzmessung, dazu Schlafüberwachung und -analyse, auch Trainingssteuerung mit Regenerationsempfehlungen ist mittlerweile State of the Art, selbst die Flüssigkeits- und Energieaufnahme während Workout und Wettkampf wird empfohlen. Sie wollen die Lieblingsstrecke eines Bekannten nachlaufen? Auch kein Problem. Einfach auf die Uhr einspielen, und die sagt Ihnen, wo’s langgeht. Und wie ein Marktschreier möchte man fast ausrufen: „Aber das ist noch nicht alles!“ Natürlich sind moderne Pulsuhren längst auch Smart Watches und verfügen über Smart Notifications, Bezahlfunktion und spielen Ihre Lieblingsmusik.
Das wichtigste Feature eines Trainingscomputers ist und bleibt die möglichst exakte Messung der Herzfrequenz.
Fragt sich nur: Wer braucht das alles? „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass User, sofern Sie bis zu einem gewissen Grad technikaffin sind, sehr rasch auf den Geschmack kommen und wirklich viele der Features nutzen und es bereuen, dass sie nicht das Top-Modell erworben haben. Wovor ich aber unbedingt warnen möchte, ist, dass man zum Sklaven der Uhren wird. Dass ein Training ohne Uhr unvorstellbar ist. Dass man verzweifelt, wenn das GPS ausfällt, und man dann nicht mehr weiterläuft. Dass man sich zwanghaft an die Empfehlungen der Uhren hält. Viel besser ist es, mit ihrer ,Hilfe‘ ein gutes Gefühl für den eigenen Körper zu entwickeln“, ist Wernbacher überzeugt und kommt zum Schluss: „Ein Trainingscomputer ist zum einen eine sehr nützliche Sache, zum anderen eine nette Spielerei, besonders für Liebhaber von Statistiken, er sollte die Läuferinnen und Läufer aber nicht unmündig machen.“